Der steinige Weg des Chamer Spitals

Zuger Klinik kämpft seit Jahrzehnten ums Überleben

Die Chamer Andreasklinik, die zur privaten Hirslanden-Gruppe zählt. (Bild: zvg)

Aktuell steckt die Andreasklinik im Konflikt mit der Zuger Regierung, welche dem Spital gewisse Leistungen vorbehalten will. Der Blick ins Archiv zeigt: Schon immer war der Weg des Chamer Spitals steinig. zentralplus rollt das Langzeitdrama auf.

Geht es nach der Zuger Regierung, soll die Andreasklinik in Cham ihre Leistungen abbauen. Gemäss der Spitalliste 2023 soll das Zuger Kantonsspital künftig für die Grundversorgung zuständig bleiben, während die Andreasklinik ein Angebot an Wahleingriffen anbieten kann.

Dagegen wehrt sich die Chamer Klinik, die darin eine Verschlechterung der Gesundheitsversorgung für Zuger sieht. Aus diesem Grund zog die Klinik den Fall vors Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen (zentralplus berichtete). Bis dort ein Entscheid vorliegt, wollen sich die Verantwortlichen nicht zu den aktuellen Umständen äussern.

Chamer Spital und Regierung – eine alte Fehde

Ein Blick zurück in die Geschichte des Chamer Spitals zeigt: Es ist längst nicht das erste Mal, dass sich die Regierung und die Andreasklinik in den Haaren liegen. Im frühen 20. Jahrhundert gründete die Bürgergemeinde in Cham ein erstes Spital. 1909 wurde der Bau eröffnet, in dem unter anderem rund 18 Betagte und Pflegebedürftige, rund 15 Arme und auch ein paar «gutmütige Geisteskranke» Platz fanden. Dies entnimmt man dem Buch «Vom Asyl Cham zur Andreasklinik».

Das Asyl Cham in seinen frühen Jahren. (Bild: zvg/ Sammlung Toni Dietziker, Hagendorn)

Die Institution florierte. Nicht zuletzt auch wegen der Spanischen Grippe, die zu jener Zeit grassierte. 1922 stimmte die Chamer Bürgergemeinde für eine Erweiterung, erstmals wurden im Operationssaal Sterilisationsapparate eingerichtet. 1928 wurden im Asyl Cham 175 Operationen durchgeführt. Die Leitung befand, es sei Zeit, dass der Kanton seine Spitäler unterstütze. Später wurde auch eine Geburtenabteilung gegründet.

1946 plante die Spitalleitung, das Asyl neu zu bauen. Nur: Ohne Subventionen von Bund und Kanton konnte sich die Bürgergemeinde keine neue Infrastruktur leisten. «Doch es bestand kaum Aussicht auf Unterstützung durch den Kanton. Während sich die Ordensschwestern über die prekären Platzverhältnisse im Asyl beklagten, gab es im Dorf kritische Stimmen gegen einen Neubau», führt die Autorin Alice Odermatt aus. Einige seien der Meinung, das «Asyl» solle klein bleiben und sich bei der medizinischen Versorgung auf Cham beschränken. «Das grösste Hindernis blieb die Finanzierung.»

Mehrere Spitäler buhlen um Gelder

Die Zuger Regierung beäugte die Baupläne im Jahr 1955 kritisch. Dies, da sich nicht nur Cham, sondern auch die anderen Zuger Spitäler, nämlich das Spital Baar, die Klinik Liebfrauenhof und das Bürgerspital in Zug finanzielle Unterstützung für ihre Aus- und Neubauten wünschten.

Heute undenkbar: Die Pflegeschwestern heben ein Gläsli Wein mit einer Patientin. (Bild: zvg/Vom Asyl Cham zur AndreasKlinik)

Der Kanton gab eine Studie in Auftrag, um die Zuger Spitalpolitik als Ganzes zu analysieren. Das Expertenbüro Aregger aus Zürich kam zum Schluss, dass ein einziges Krankenhaus im Kanton kostengünstiger und effektiver wäre. Sollten jedoch alle vier Spitäler weiterhin erhalten bleiben, sahen es die Experten als angebracht, dass sich diese unterschiedlich ausrichten.

1962 wurde das Spital Cham, wie es nun hiess, aufgrund Platzmangels erweitert. In jener Zeit stiegen die Personalkosten massiv. Allein zwischen 1960 und 1968 um das Vierfache. Dies insbesondere, da der Betrieb immer weniger auf die Hilfe von Heiligkreuz-Ordensschwestern und immer mehr auf Fachkräfte zählte. 1974 schrieb das Spital erstmals ein grösseres Betriebsdefizit.

Wie viele Spitäler braucht es in Zug? Die Frage stellte man sich früh

Ende der 1970er-Jahre stand für den Kanton fest: Vier Spitäler im kleinen Kanton Zug, das sind zu viele. Urs Wiederkehr kam 1977 ins Chamer Spital, zunächst als Belegarzt, später als ärztlicher Spitalleiter. 30 Jahre lang hielt er dem Betrieb die Treue.

Er erinnert sich: «Es war klar, dass das Spital Cham über die Klinge springen muss. Denn sowohl der Liebfrauenhof als auch das Bürgerspital Zug waren dominant. Die dortigen Leitungen hatten klar das Sagen im Kanton. Auch das Spital Baar war nicht gefährdet, da es wenige Jahre zuvor erst eröffnet worden war.» Die Sanitätskommission im Kantonsrat beantragte 1979, das Spital Cham zu schliessen. Damit begann eine turbulente Zeit.

Jahre auf dem «Schleudersitz»

Wiederkehr erinnert sich lebhaft an diese Jahre. «Wir befanden uns immer auf dem Schleudersitz», fasst er zusammen. «Vonseiten Kanton wurden uns stets Schwierigkeiten bereitet, um eine Schliessung des Chamer Spitals zu legitimieren.»

Doch die Belegschaft wehrte sich. Im Rahmen einer Petition sammelte sie 5000 Unterschriften. «1000 davon sammelte ich selbst. Mir lag die Sache enorm am Herzen», sagt der ehemalige Spitalleiter.

1981 wurde an zwei Wochenenden zudem ein Spitalbazar durchgeführt. «Wir wollten damit der Bevölkerung in Erinnerung rufen, in welcher Situation sich das Spital befindet und hofften auf ihren Goodwill.» Ein Plan, der aufging. 420’000 Franken sammelte das Spital mit dem Anlass. «Der Regierungsrat wurde sich unseres Rückhalts in der Bevölkerung gewahr und krebste zurück. Nun sprach er sich – jedenfalls vordergründig – für den Erhalt des Spitals aus. Faktisch lief es anders. Mit allen Mitteln versuchte er, uns kleinzuhalten.»

Dem Chamer Spital wurde das Leben schwer gemacht

Will heissen? «Uns wurde beispielsweise kein Ultraschallgerät gewährt. Daraufhin organisierten wir selbst das Geld für ein Occasionsgerät. Dann aber verbot uns die Regierung, dieses zu nützen, da wir keinen Arzt mit profunder Ultraschallgerät-Kenntnis hatten. Worauf ich wiederum die Ausbildung dafür machte», erzählt Wiederkehr.

«Handkehrum arbeitete ein Arzt bei uns, der im Bereich endoskopischer Abdominalchirurgie ausgebildet war. Das Geld für die benötigten Gerätschaften erhielten wir vom Kanton nicht. Wir zapften also die eigenen Reserven an und leasten die Geräte», so der ehemalige Arzt. «Somit waren wir das einzige Spital im Kanton, das zu dieser Zeit endoskopisch durchgeführte Operationen im Bereich Bauchchirurgie durchführen konnte. Das sorgte weit herum für böses Blut.»

Ebenfalls sei das Röntgengerät, das kaputtgegangen sei, vom Kanton nicht ersetzt worden. Auch hier fanden die Verantwortlichen des Spitals Cham eine Occasionslösung. 1994 folgte ein weiterer Tiefpunkt. Das Spital Cham stand erneut vor dem Ende. Dies aufgrund eines Kantonsratsentscheids, der besagte, dass nur noch zwei Zuger Spitäler zu subventionieren seien: das Kantonsspital und das Spital Baar.

Das Personal des Spitals Cham war nach dem Entscheid, die Institution zu schliessen, schwer enttäuscht. (Bild: Thomas Gretener (1994))

«Ich kann mich an den Namen der letzten Patientin erinnern, die im ansonsten leeren Spital stationiert war. Man hatte ihr die Gallenblase entfernt. Sobald sie entlassen worden war, kam der Kanton und schloss das Krankenhaus. Es war ein Verhungern im Fleischlager», sagt Wiederkehr. «Wir sahen zwar ein, dass vier Spitäler viel sind. Doch verstanden wir nicht, warum man überall expandierte, während wir wegschikaniert wurden.»

Teilprivatisierung als vermeintliche Lösung

Um die endgültige Schliessung zu verhindern und einen notwendigen Neubau realisieren zu können, spannte die Bürgergemeinde Cham mit der American Medical International (AMI), einer amerikanischen Privatklinikgruppe, zusammen. Eine AG wurde gegründet, die Bürgergemeinde beteiligte sich als Minderheitsaktionärin mit einer Million Franken daran. Sie erteilte der AMI das Baurecht auf ihrem Land. Und plötzlich ging alles Schlag auf Schlag. Selbst der Kanton hatte gegen das Projekt kaum etwas einzuwenden.

Im Zuger Kantonsrat sprach man von der «AMI-Bombe». (Bild: zvg/Karrikatur von Niels/Zuger Zeitung)

Geplant war, dass die AMI-Klinik im Oktober 1996 eröffnet wird. Im Juni 1995 begann man mit dem Bau. «Doch dann erlaubte der damalige Sanitätsdirektor die Eröffnung nicht», sagt Wiederkehr. Der Grund: «Zwischen Baubeginn und -ende hatte das Gesetz geändert. Nur jene Spitäler, welche auf der Spitalliste waren, durften betrieben werden. Und wir waren nicht auf der Liste.»

Ein SRF-Bericht von 1996:

Eine absurde Situation: Cham verfügte also plötzlich über ein nigelnagelneues Spital, doch dieses stand leer. «Der AMI-Delegierte, der den Bau geleitet hatte, war anfangs als Mann von Welt aufgetreten. Als klar wurde, dass die AMI-Klinik nicht aufgehen kann, setzte er sich von einer Stunde auf die nächste in eher uncharmanter Manier nach Südfrankreich ab, um dort Schafe oder Ziegen zu hüten.»

Der (vorerst) rettende Sprung auf die Spitalliste

Aufgeben war für die Verfechter des Chamer Spitals keine Option. «Schliesslich hatten wir ja quasi gratis eine Klinik erhalten. Das Geld hatte AMI in den Sand gesetzt, und das Land gehörte nach wie vor der Bürgergemeinde», so Wiederkehr. «Wir mussten schnell reagieren und gründeten gemeinsam mit der Klinik Liebfrauenhof, deren Liegenschaft baufällig geworden war, eine AG.»

Der Liebfrauenhof hatte genügend Geld, um Aktien zu erstehen, die Ärzte aus Cham beteiligten sich teils mit ihrem Privatvermögen, damit die Firmengründung möglich wurde. «Als neue Firma wurden wir auf die Spitalliste aufgenommen, und so konnten wir die Andreasklinik am 2. April 1998 eröffnen.»

Kehrte damit endlich Ruhe ein? Mitnichten. Im Jahr 2000 kündigten die Krankenkassen den Vertrag bezüglich der Grundversicherung mit der Klinik. Der Kanton sprang mit einem Darlehen ein, damit das Spital weiterhin Grundversicherte aus Ennetsee aufnehmen konnte. 2001 übernahm die Zürcher Hirslanden-Holding die Andreasklinik.

Die heutige Situation des Spitals rund um den drohenden Entzug des Leistungsauftrags für die Grund- und Notfallversorgung beobachtet Wiederkehr mit etwas Distanz. «Die Andreasklinik ist heute eine Firma, der es gut geht. Die Geschehnisse gehen mir heute nicht mehr so sehr an die emotionale Substanz, wie das früher der Fall war. Damals setzte ich mein ganzes Herz in den Erhalt dieses ‹Spitäli›.»

Verwendete Quellen
  • Telefongespräch mit Urs Wiederkehr
  • Besuch des Staatsarchivs
  • Buch «Vom Asyl Cham zur Andreasklinik»
  • Jahresberichte der Andreasklinik
  • Schriftliche Anfrage bei Yvonne Hubeli, Direktorin Andreasklinik Cham
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