Regiert Bürokratie Luzerns Nachtleben? Teil 3

Strenges und stures Luzern? Stadt wehrt sich gegen Kritik

Wenn in der Stadt Luzern die Nacht anbricht, wirds vielerorts ziemlich still. (Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Die Stadt Luzern pflegt fleissig ihren Ruf als Kulturstadt. Doch ihre Bürokratie macht manchen Luzerner Gastronominnen zu schaffen. Die Stadt wehrt sich nun gegen deren Vorwürfe.

Eigentlich macht sich die Stadt Luzern durchaus Gedanken zur Gestaltung urbaner Freiräume. Von den Bemühungen zeugen etwa neue Begegnungszonen in den Quartieren, die Spielplätze Fluhmühle und Lindenstrasse oder die Zwischennutzung Universum auf dem einstigen Carplatz des Inseli (zentralplus berichtete).

Weitere Projekte stehen vor der Realisierung. So zum Beispiel die Neugestaltung der Bahnhofstrasse oder der Bau eines neuen Reussparks. Mit dem Projekt «Begrünte Inseln» versucht die Stadt Luzern zudem, urbane Freiräume auch klimatisch zu optimieren.

Auch die Umnutzung der Waldstätterstrasse in der Neustadt kommt in diese Aufzählung. Der autofreie Strassenabschnitt vor der Migros soll bis 2025 entsiegelt, mit Bäumen bepflanzt und mit neuen Bänken ausgestattet werden (zentralplus berichtete).

Bevölkerung will nicht, Gastronomie darf nicht

Tatsache ist aber auch: Nicht alle Luzerner Pop-up-Pärke funktionieren. Zuletzt resümierte die Stadt Luzern, dass das Interesse der Bevölkerung zur Mitgestaltung der urbanen Freiräume abflaue. Von acht möglichen Pop-up-Pärken wurden diesen Sommer nur noch zwei betrieben (zentralplus berichtete).

Und während die Bevölkerung keine Lust mehr zu haben scheint, diese Räume zu beleben, schiebt die Stadt einigen Luzerner Gastronomen, die ein kommerzielles Interesse an der Nutzung von Parkplätzen hätten, mit Verweis auf die Reglemente einen Riegel vor. Das während der Pandemie temporär eingeführte, stark vereinfachte Bewilligungsverfahren für Boulevardflächen hat die Stadtverwaltung inzwischen wieder durch das ordentliche Baubewilligungsverfahren ersetzt.

An diesem Verfahren scheiterten mehrere Gastronomen, deren «Parkplatzbars» und bewirtete Trottoirs sich während der Pandemie noch grosser Beliebtheit erfreuten und insbesondere auch in der Nachbarschaft gut ankamen, wie zentralplus im ersten Teil dieser Artikelserie berichtete.

Stadt Luzern soll Ausbau der Boulevardflächen ermöglicht haben

Mario Lütolf, Leiter der Luzerner Dienstabteilung Stadtraum und Veranstaltungen (STAV), bestreitet die Tatsache nicht, dass die Gesuche einiger Gastronomen abgelehnt wurden. Doch seien 50 von rund 60 befristeten Boulevardbewilligungen der Pandemie-Sommer 2020 und 2021 dauerhaft verlängert worden, nachdem die Wirte ordentliche Baugesuche eingereicht hätten.

Gemäss Lütolf sind die Gastronomen, die gegenüber zentralplus wenig Verständnis für die Ablehnung ihrer Gesuche zeigten, Einzelfälle.

Kastenbar und Kulturlokal kämpften mit polizeilichen Repressalien

Doch nicht nur Mario Lütolfs STAV und andere Dienstabteilungen der Stadtverwaltung, sondern auch die Luzerner Polizei macht Akteuren des Nachtlebens zu schaffen. So belebten die jungen Veranstalter des Luzerner Vereins Kastenbar urbane Freiräume mit unkonventionellen Anlässen. Doch nach mehreren Razzien zog sich der Verein vermehrt in private Räumlichkeiten zurück – und versuchte sein Glück zuletzt in den liberaleren Städten Zürich und Bern (zentralplus berichtete).

An sonnigen Tagen verwandelte sich dieser Stromkasten im Bruchquartier einst zu einem gemütlichen Treffpunkt. Doch nach Problemen mit der Luzerner Polizei musste der Verein Kastenbar das Projekt begraben. (Bild: cbu)

Ähnlich erging es dem Verein Divers, der bis vergangenen Sommer das «Refugium», ein Kulturlokal unter der Langensandbrücke, betrieb. Nebenbei kümmerte sich der Verein um die Suchtkranken, die sich ebenfalls unter der Brücke aufhielten.

Doch anstelle von personeller städtischer Unterstützung bei dieser «ehrenamtlichen Sozialarbeit» sei das «Refugium» für den Abfall, den die Suchtkranken hinterlassen hätten, verantwortlich gemacht worden und habe mit Repressalien zu kämpfen gehabt, so die Organisatoren. Mit vier Kastenwagen soll die Luzerner Polizei eines Abends vorgefahren sein, um das Lokal zu schliessen (zentralplus berichtete).

Stadt Luzern will keine Schlafstadt sein

Gastronominnen und Künstler werfen der Stadt Luzern vor, mit einer repressiven und restriktiven Praxis das Prinzip «Ruhe und Ordnung» so hoch zu gewichten, dass die Stadt für Junge und Junggebliebene kaum mehr Freiräume bietet.

Dies sieht die Stadt Luzern ganz anders. «Der Vorwurf wird der Tatsache nicht gerecht, dass die Stadt Luzern ein sehr intensives, auf eine breite Anspruchsgruppe ausgerichtetes Veranstaltungsangebot im privaten wie im öffentlichen Raum unterhält», schreibt sie gegenüber zentralplus. Dabei müssten auch die Interessen der Anwohner, insbesondere die Einhaltung der Nachtruhe, durchgesetzt werden. Dies verhindere aber «in keiner Weise» die attraktive Ausgestaltung von Freiräumen für Junge und Junggebliebene.

Die Stadt Luzern gibt aber zu, dass die Zusammenarbeit zwischen Veranstaltern, Bewilligungsinstanzen und der Polizei eine «grosse Herausforderung» darstelle. Doch sei die behördliche Praxis in Luzern weder besonders repressiv noch restriktiv. Auch von einer Überbürokratisierung könne keine Rede sein. Denn die Behörden entsprächen den Bewilligungsgesuchen «rasch» und «innert gegebener Fristen».

«Luzern gehört nicht zu den liberalen Spitzenreitern»

Die Stadt Luzern weist also die Vorwürfe der Gastronomie und der Kultur von sich, besonders restriktiv und repressiv sowie bürokratisch zu sein. Um eine unabhängige Einschätzung bemüht, hat sich zentralplus an Thomas Steiner von der Hochschule Luzern gewandt.

Thomas Steiner ist Geschäftsführer des Zentrums Öffentlicher Raum (ZORA) des Schweizerischen Städteverbandes und Dozent und Projektleiter an der Hochschule Luzern am Departement Soziale Arbeit.

«Wenn wir von den gesetzlichen Regelungen ausgehen, gehört Luzern nicht zu den liberalen Spitzenreitern, sondern bewegt sich im üblichen Bereich», sagt dieser. Mit der Sonderregelung der 2022 eingeführten «mediterranen Nächte» sei Luzern allerdings «bei den Leuten».

«Mediterrane Nächte» sind das höchste der Gefühle

Gemäss Steiner haben die «mediterranen Nächte» ihre Ursprünge in der Romandie. Das Konzept machte in den vergangenen Jahren aber auch in vielen Deutschschweizer Städten die Runde. In Luzern dürfen Bars und Restaurants mit einer entsprechenden Bewilligung von Juni bis September, jeweils am Wochenende, ihre Boulevardflächen bis 1 Uhr, also eine Stunde länger als üblich, bewirten (zentralplus berichtete).

Steiner vermutet, dass damit der Spielraum für Liberalisierungen im urbanen Nachtleben ausgereizt sei. In manchen Städten der Romandie würden einst vorgenommene Lockerungen gar wieder rückgängig gemacht.

Inspirieren Steiners Paradebeispiele die Stadt Luzern?

Steiner nennt weitere Beispiele, die einen progressiven Umgang von Schweizer Städten mit dem Nachtleben und urbanen Freiräumen illustrieren. «Basel war Vorreiterin in Sachen Liberalisierung der Schliesszeiten von Boulevardflächen», sagt er. Die Stadt habe einen nach Zonen abgestuften «Boulevardplan» erstellt, der dem Charakter des jeweiligen Gebiets Rechnung trage.

In Wohngebieten sei Basel restriktiver als die Stadt Luzern: Um 22 Uhr sei auf den Terrassen und bewirteten Trottoirs Schluss. Hingegen sei es Gastronomen in den «Ausgehmeilen» der Basler Innenstadt erlaubt, die Boulevardflächen bis 2 Uhr morgens zu bewirten.

Erwähnenswert findet Steiner auch die Stadt Lausanne. Dort habe die Polizei eine Abteilung für bürgernahe Polizeiarbeit sowie eine Abteilung fürs Nachtleben geschaffen und betreibe ein Portal für Ruhestörungen und anderes rücksichtsloses Verhalten. Die Stadtpolizei veranstalte zudem wöchentlich ein Treffen mit Akteuren und Anwohnerinnen des Ausgehviertels. Solche Massnahmen würden die Akzeptanz des Nachtlebens stärken, erklärt Steiner.

Gegenüber zentralplus zeigt sich die Stadt Luzern offen für derartige Konzepte. Sie betont aber auch, dass die Rahmenbedingungen von Stadt zu Stadt verschieden seien.

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit diversen Vertretern der Stadt Luzern
  • Schriftlicher Austausch mit Thomas Steiner von der Hochschule Luzern
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